Fabrikstraße 32 - Gewerkschaftshaus

Obwohl die Zerschlagung der Gewerkschaften als "Gleichschaltung" bezeichnet wurde, hatte dieser Vorgang vor allem eine politische Dimension, da er den Nazis die Chance bot, politischen Gegnern ein wichtiges Podium zur Verbreitung ihrer Meinungen zu entziehen.

 


Auch in Neumünsteraner Gewerkschaftskreisen löste die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler Unbehagen aus; dennoch glaubte niemand an eine lange Regierungszeit und den Machterhalt der NSDAP. Vorrangiges Ziel war die Erhaltung der Gewerkschaften während dieser (kurzen) Periode.1

 

Unter dem Begriff "Allgemeiner Deutscher Gewerkschaftsbund" (ADGB) sammelten sich in Neumünster folgende Gewerkschaften:
-Deutscher Holzarbeiterverband
-Verband der Maler
-Zentralverband der Steinarbeiter
-Deutscher Baugewerkschaftsbund
-Deutscher Bekleidungsarbeiterverband
-Deutscher Lederarbeiterverband
-Deutscher Metallarbeiterverband
-Verband der Nahrungsmittel- und Getränkearbeiter
-Deutscher Textilarbeiterverband
-Verband der Deutschen Buchdrucker
-Handsetzervereinigung
(-Gewerkschaft für Fabrikarbeiter)
Gewerkschaft für Heizer und Maschinisten)2


Diese Bandbreite machte ein gemeinschaftliches Arbeiten und Erstellen von Forderungen kaum möglich. Wie viele Mitglieder die Einzelgewerkschaften auf sich vereinigten, ist leider nicht mehr festzustellen. Nur noch wenige dürftige Dokumente sind aus dieser Zeit vorhanden, während für spätere Jahre eine Dokumentation bestand.3

 

Durch den starken Einfluss von SPD und KPD auf die freien Gewerkschaften und personelle Überschneidungen in diesem Bereich war die "Gleichschaltung" der Gewerkschaften nach der "Reichstagsbrandverordnung" ein logischer Schritt, um potenzielle politische Gegner auszuschalten.
Das systemgetragene Gegenstück, die Nationalsozialistische Betriebszellen-Organisation (NSBO), hatte nur kleine Teile der Arbeiterschaft hinter sich vereinigen können.
Eine Ausnahme bildete die Lederfabrik G. Schmidt, in der es der NSBO bereits bei der Betriebsratswahl 1931 gelang, "anständige deutsche Arbeiter ... den Klauen des Marxismus" zu entreißen und einen der sechs Posten zu besetzen.4

 

Während auf der großen Maikundgebung - von Hitler zum "nationalen Tag der Arbeit" erklärt - keine Anzeichen von Spannungen zwischen NSDAP und Gewerkschaften bestanden, erstürmten am 2. Mai 1933 SA und Hilfspolizei das Gewerkschaftshaus in der Fabrikstraße 32. Sämtliches Vermögen wurde beschlagnahmt und Gewerkschaftsfunktionäre in Schutzhaft genommen (z.B. A. Wettersborn, Einheitsverband der Eisenbahner, Konrad Matzke und W. Meier, beide Deutscher Textilarbeiterverband).
Bei dieser Okkupation fiel der NSBO bzw. der Deutschen Arbeitsfront, die diese eingliederte, zahlreiches Inventar und Vermögen zu.
Die größten Summen kamen von:
- dem Deutschen Lederarbeiterverband ca. 32.000 RM
- dem ADGB ca. 28.100 RM
- der Freien Deutschen Eisenbahnergewerkschaft ca. 51.000 RM
- dem Textilarbeiterverband 56.132,59 RM
was bereits eine Summe von ges. 167.432,59 RM ergab5, die "kleineren" Gewerkschaften nicht mitgerechnet.
Am folgenden Tag übernahm Kommissar Begemann die Überleitung der freien Gewerkschaften in die NSBO.6
Er erklärte, dass die gewerkschaftliche Arbeit wie bisher verrichte wurde und das große Ziel der NSBO läge, jeden gewerkschaftlichen Konkurrenzkampf und Verschwendung von Geldern für "marxistische Agitationen" zu verhindern.7
Im Revisionsbericht der NSBO wurden vor allem Spenden an politische Organisationen und Geldverschwendung durch Funktionäre angeprangert. Unter den aufgeführten "politischen Organisationen" waren auch die "Gewerkschaftsjugend" und der "Arbeiter-Samariter-Bund", die nicht als solche eingestuft werden dürften.8 Ehemalige Gewerkschaften wurden als Verräter der Arbeiterinteressen dargestellt.
Neben den Sachwerten überführte die NSBO auch die Gewerkschaftsmitglieder (teilweise gegen ihren Willen) in die DAF. NSBO-Kommissar Begemann erklärte während einer Kundgebung am 30. Mai 1933 in der "Tonhalle": „Der oberste Grundsatz der NSBO sei eben der, jedem Volksgenossen, ob Marxist oder nicht, Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. […] Auf der anderen Seite aber kann sie keinesfalls irgendwelche marxistische Hetzte dulden. […] Die Arbeit, welche die NSBO für die Gesamtheit zu verrichten hat, muß ausgeführt werden, wobei jeder Verräter am Volkskörper auszuschalten ist.“9
Wie sich diese "Ausschaltung" gestaltete, zeigte sich bald. Führenden Gewerkschaftlern wurde ihre Stellung gekündigt und unterlagen der Überwachung durch die Gestapo.