Haart 224 (Köstersche Fabrik)

Dieser Ort hat eine wechselvolle Geschichte miterlebt. 1921 erwarb Emil Köster dieses Fabrikgelände, nachdem er bereits in der Wrangelstraße seit 1893 Schafleder, das sog. Chevrolin, produzierte. Im Jahr zuvor, 1920, verkaufte Emil Köster seine Anteile am Werk Wrangelstraße an die Firma Adler & Oppenheimer, die das Unternehmen erheblich ausbaute. Zeitweise arbeiteten 1300 Mitarbeiter für den Export des Schafleders. Die jüdischen Hauptaktionäre der Familien Adler und Oppenheimer wurden 1938 enteignet und die Produktionsstätte in der Wrangelstraße in Norddeutsche Lederwerke umbenannt. Ferdinand Oppenheimer, der Betriebsleiter des Werks in der Wrangelstraße, konnte vielen der jüdischen Betriebsangehörigen die Flucht nach England ermöglichen. Bei der „Arisierung“ dieses Betriebs war die Deutsche Bank behilflich, die mit dem Nazi-Regime blendende Geschäfte machte und dessen Chef Hermann Josef Abs auch im Aufsichtsrat von Adler und Oppenheimer saß.


Der Standort der Kösterschen Fabrik lag bis 1938 auf dem Gebiet der damals eigenständigen Gemeinde Gadeland. Nachdem in diesem Jahr ein Teil des Gemeindegebietes der Stadt angegliedert wurde, gehörte die Fabrik seither zu Neumünster. Der Inhaber dieses Werkes war Heinz Köster (*1909), der Sohn von Emil Köster. 1937 brannte das Werk vollständig ab und musste wieder neu aufgebaut werden. Heinz Köster zog in den Krieg, kam nicht mehr aus Stalingrad zurück und gilt seitdem als vermisst.

 

Die Tuchfabrikanten waren sehr angesehene Leute in der Stadt und sehr wohlhabend. So betrug der Umsatz bei Emil Köster 1936: 13.000.000 Reichsmark. Emil Köster kaufte beispielsweise eine Villa in Rencks Park, die heute als „Villa Köster“ bekannt ist. Heute finden sich in Neumünster sowohl die Emil-Köster-Str. als auch die Heinz-Köster-Str. (Wenig bekannt ist, dass Köster 1925 auch den Hof Bissenbrook kaufte und zur Entspannung nutzte.) Die Tuchfabrikanten hatten in Neumünster viel Einfluss. So wurde der Tuchfabrikant Bruno Köster 1945 für kurze Zeit zum Oberbürgermeister der Stadt und Walter Bartram, der Sohn des Tuchfabrikanten Theodor Bartram, Ministerpräsident von Schleswig-Holstein. Bartram, der Ex-Wehrwirtschaftsführer in der NS-Zeit war, gewann die Wahl als CDU-Kreisvorsitzender mit aggressiver Politik gegen die Entnazifizierung, trat nach einem Jahr bereits zurück und war anschließend für 5 Jahre Mitglied des Deutschen Bundestags, wo er den Wahlkreis Segeberg-NMS vertrat. Im Frühjahr 1951 vertrat Bartram gegenüber der „New York Herald Tribune“ die Auffassung, die Zugehörigkeit zur NSDAP sei Ausdruck von Vaterlandsliebe gewesen und ihre Angehörigen demzufolge patriotische Elemente. Zudem glaubte er, dass es für Schleswig-Holstein von Vorteil wäre, von ehemaligen Nazis regiert zu werden, weil diese mit den praktischen Gegebenheiten vertraut wären. Alle Mitglieder des Kabinetts Bartram bis auf Innenminister Pagel waren im Dritten Reich Nazis. So zum Beispiel Bartrams Freund aus Jugendtagen Ernst Kracht, ebenfalls aus Neumünster, ebenfalls Sohn eines Tuchhändlers. Kracht trat bereits 1933 in die NSDAP ein, wurde 1936 Oberbürgermeister von Flensburg und stieg 1937 in die SS zum SS-Sturmbannführer auf.

 

Die Firma Emil Köster GmbH wird heute von Jürgen Bartram und Jan Hinrich Köster geleitet und verwaltet heute das gesamte Areal von Statt-Theater bis Famila.

 

Die Zeit vor 1945: Zwangsarbeiter in Neumünster, Zwangsarbeiter bei der Emil Köster AG

Die ersten Kriegsgefangenen trafen Ende 1939 in Neumünster ein und wurden in Brachenfeld in einer Scheune untergebracht. Durch die hohen Verluste im Zweiten Weltkrieg machte sich der Arbeitskräftemangel in den Textil- Leder- und Metallfabriken Neumünsters früh bemerkbar. Die Nazis steuerten dem entgegen, indem sie die Arbeiter durch Kriegsgefangene aus Polen, Frankreich und Belgien und seit April 42 vor allem durch Ostarbeiter und Ostarbeiterinnen ersetzte. Über die Veränderungen in den Industriebetrieben berichtet auch der Neumünsteraner Karl Barlach, ein Rechtsanwalt und Notar, der so etwas wie der Stadtchronist der Nazizeit ist. Barlach verfasste die „Stadtchronik Neumünster“, die den Zeitraum von 1939 bis 1948 behandelt. Unverständlicherweise berichtet Barlach darin, dass die „Stimmung der Gefangenen eine Gute ist.“ Wenn man sich die Listen mit den Wahlvorschlägen zur Gemeindevertretung vom 12. März 1933 ansieht, versteht man warum: Barlach steht auf der Liste der Nationalen Aufbaufront. So nannte man in Neumünster die Partei von Alfred Hugenberg, der in der Weimarer Zeit mit nationalistischer und antisemitischer Propaganda maßgeblich zum Aufstieg der rechten Parteien beitrug.


Ab 1935 wurden die meisten Fabriken in Neumünster auf Rüstungsproduktion umgestellt. So auch Teile der Emil-Köster-AG, in der 1939 ca. 720 Menschen beschäftigt waren. Die Dräger Werke Lübeck hatten hier im Haart ein Zweigwerk, in dem Gasmasken und Filter getestet wurden. Wie viele Kriegsgefangene während der Nazizeit in Neumünster gelebt und gearbeitet haben, lässt sich nicht mehr genau feststellen, aber es waren nach einer Aufstellung von 1945 ca. 3.000.

 

Die Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen, die in Neumünsters Fabriken arbeiteten, lebten in Gemeinschafts- oder in Betriebslagern. Die Lederfabrik der Emil-Köster AG führte ein eigenes Betriebslager hier. Die ungelernten Arbeiter bekamen 1,10 Reichsmark, ein Fremdarbeiter 0,91 RM und ein Ostarbeiter 0,75 RM. Eine Ostarbeiterin erhielt 0,55 RM.

 

Von der Belegschaft der Köster AG wurden 1939 79 Männer zum Kriegsdienst eingezogen, 1940 waren es bereits 100 Männer und 1941 nochmals 136. Diese Arbeiter hat man dann nach und nach durch Gefangene ersetzt.

 

Am 15.12.42 waren im Betriebslager der Köster AG 5 Polen, 74 Russen, 1 Belgier und 1 Schwede als Zivilarbeiter erfasst. Dazu kamen 50 Kriegsgefangene aus Frankreich und 8 aus Belgien.

 

Über die Franzosen gibt es eine Aktennotiz vom 6. Dezember 1944, in der es heißt, dass sie den Anordnungen des Lagerführers nicht nachkämen. Auch sollen sie sich nach Beginn der Sperrstunde in der Stadt herumgetrieben haben. Die Franzosen werden mittels Dolmetscher dahin belehrt, dass alle bis spätestens 20.00 Uhr in der Unterkunft zu sein haben. Wer gegen diese Anordnung verstößt, wird unweigerlich bestraft und im Wiederholungsfalle der Gestapo gemeldet.

 

Einer der Arbeiter war ab September 1939 der Textilkaufmann Heinz Baronowitz, den man bei Emil Köster zur Zwangsarbeit verpflichtete. Im November 1938 wurde er erstmalig festgenommen und in das KZ Sachsenhausen deportiert, im August 1940 wurde Baronowitz erneut verhaftet und wiederum nach Sachsenhausen deportiert. Heinz Baronowitz wurde in das Arbeitslager Wewelsberg-Niedernhagen verlegt, wo er im März 1942 ums Leben kam. Baronowitz wohnte in der Propstenstraße 3, wo ein Stolperstein verlegt ist.

Internierungslager Gadeland 1945-1946

Die Kriegsgefangenen waren den Bomben der Alliierten am schutzlosten ausgeliefert, besonders die, die in Betriebslagern der Rüstungsindustrie untergebracht waren. So starben etwa 100 Kriegsgefangene im Luftkrieg über Neumünster. Am 3. Mai 1945 wurde die Stadt den britischen Truppen übergeben.


Die Einrichtung des 1. Civilian Internment Camp Neumünster-Gadeland, das gelegentlich auch als Internierungslager Neumünster, Civil Internment Settlement oder Internierungslager Gadeland bezeichnet wird, erfolgte im Juli 1945 durch die britische Militärregierung. Es diente zur Internierung von Personen, die verdächtigt waren, während des III. Reiches in der NSDAP oder einer ihrer Gliederungen, Formationen und Organisationen tätig gewesen zu sein. Unter den sog „automatischen Arrest“, den die Briten anwendeten, fielen alle politischen Leiter der NSDAP, Angehörige der SS und Waffen-SS sowie Gestapo-Beamte und SD-Angehörige. In Deutschland zählten zu dieser Gruppe ca. 27.000 Personen. Leider sind die britischen Internierungslager in der wissenschaftlichen Literatur nur sehr am Rande behandelt worden. Das lag bzw. liegt z.T. an der Unzugänglichkeit der Akten, die beim englischen Secret Service liegen, sowie daran, dass bei vielen Historikern die Priorität darin bestand, die Kriegsverbrecher-Prozesse in Nürnberg zu untersuchen und die mittlere Ebene der NS-Funktionäre völlig zu vernachlässigen. So liegen dem Stadtarchiv Neumünster keine Akten, Unterlagen oder andere Quellen aus dem Internierungslager vor, da es sich um eine britische Einrichtung handelte. Aus diesem Grund war es seitens des Stadtarchivs auch nicht möglich, über einzelne Insassen Auskunft zu geben. Insgesamt waren im 1. Civilian Internment Camp Neumünster-Gadeland etwa 20.000 Männer und 500 Frauen interniert, die teilweise mehrere Jahre in britischem Gewahrsam blieben, bis man im Rahmen der Entnazifizierung eine endgültige Beurteilung ihrer Fälle vornahm. Unter den Internierten befand sich ein vergleichsweise hoher Anteil von mutmaßlichen Kriegsverbrechern. So waren es im August 1946 ca. 800. 13 davon waren Zeugen im Militärtribunal von Nürnberg, wo es um schwerste Verbrechen gegen die Menschlichkeit ging. Warum diese hohe Anzahl in Schleswig-Holstein? Schleswig-Holstein war nach Hitlers Selbstmord zum Rückzugsgebiet der Nationalsozialisten geworden. Sie tauchten hier ab, besorgten sich neue Pässe und eine einwandfreie Vergangenheit - Eliten der Partei, hohe SS- und Polizeiführer. Zudem erklärten die Briten Schleswig-Holstein zum Aufenthaltsgebiet für etwa 700.000 Angehörige der Wehrmacht und sperrten das Land vollständig ab.

 

Die Lederfabrik Emil Köster war in ihrer Größe und Art der Fabrik einmalig für Schleswig-Holstein. Das zu ihr gehörende Gelände umfasst 60.000 qm – das entspricht einer Größe von 12 Fußballfeldern – , und es bestand eine überdachte Arbeitsfläche von 42.000 qm. In London beschloss man deshalb, dass hier ein überregionales Internierungslager für Schleswig-Holstein und den Hamburger Raum einzurichten ist. Das gesamte Gelände wurde also konfisziert und umfunktioniert. Man hatte errechnet, dass jede deutsche Person Anspruch auf 3,5 qm Wohnraum hatte und so kam man auf eine Belegungskapazität von 10.000 bis 12.000 Personen.

 

Das Internierungslager bestand aus 10 Blöcken plus einem Lazarett in der Außenstelle Ratzeburg. Die einzelnen Blöcke waren durch Stacheldraht voneinander abgegrenzt. Im sogenannten S-Block, dem Sicherheitsblock, saßen Internierte mit schwersten Verbrechen gegen die Menschlichkeit, darunter Hoheitsträger der NSDAP, Männer, die im Verdacht standen, notgelandete englische Piloten erschossen zu haben und solche, die Ostarbeiter misshandelt oder erschossen hatten. Über den A-Block ging es weiter bis hin zum I-Block. Im A-Block saßen Internierte aus dem Vernehmungslager Plön oder solche, die aus anderen Vernehmungslagern nach Gadeland gebracht wurden. Nach vielen dieser deutschen Besatzungssoldaten fahndeten ausländische Kommissionen, z.B. aus Belgien. Für diese Internierten bedeutete ein Verhör meist, dass sie anschließend ausgeliefert wurden. In den Ländern wartete die Todesstrafe auf sie.

 

Von den Briten wird ein mehrfacher, hoher Stacheldrahtzaun um das ganze Fabrikgelände gezogen und eine Lagerverwaltung eingerichtet. Augenzeugen berichteten mir, dass dieser mindestens 3 m hohe Zaun von innen mit Tarndecken verhängt gewesen ist, damit man von außen nicht hineinblicken konnte. Es gelang aber trotzdem immer wieder einigen Internierten, diese Hürde zu überwinden. An den Zäunen patrouillierte ständig deutsche Polizei. An der Grenze zur Feldmark befanden sich 2 Wachtürme. Zwischen ihnen außerhalb des Zaunes war ein von bewaffneten englischen Soldaten kontrollierter Postengang.

 

Im Herbst 45 waren hier 10.600 Nazis inhaftiert, darunter etwa 300 Frauen!!! Im September 1946 gaben die Lagerleiter kurzfristig bekannt, dass alle Insassen kurzfristig verlegt werden. Am 1. Oktober 1946, also vor genau 66 Jahren, saßen noch ca. 4000 Personen ein. Auf offenen Lastwagen und anschließend mit der Bahn wurden die Insassen in andere Lager verlegt, die sich in Neuengamme und Eselsheide bei Paderborn befanden. Am 9. Oktober 1946 wurde das Lager geschlossen und die Maschinenhallen wurden wieder in ihren ursprünglichen Zustand versetzt (die Arbeit hat schätzungsweise 1 Jahr in Anspruch genommen). 1948 werden alle Internierungslager der britischen Zone geschlossen. Im Jahr darauf wird die Entnazifizierung, die man als solche kaum bezeichnen konnte, von der Stadtverwaltung als abgeschlossen bezeichnet. Im Ganzen hat man in Neumünster 10.181 Personen überprüft und wie folgt eingestuft. In die Gruppe III der Minderbelasteten fallen 251 Personen, in Gruppe IV (Mitläufer) 1136 Personen, in Gruppe V (Entlastete) 5720 Personen und 3074 Nichtbetroffene. Belastete und Hauptschuldige wurden nicht gefunden und wollten nicht gefunden werden! Weder die Internierung in Gadeland noch das Entnazifizierungsgesetz von 1948 brachten die gewünschte Wirkung: ein wirkliches Aufräumen mit den alten Nazis. Tatsächlich haben diese in der Bundesrepublik nach Beendigung der Entnazifizierung wieder hohe Ämter bekleidet, hier in Neumünster (zum Beispiel im Landesversorgungsamt) und auch anderswo.

 

Quellen/Literaturverzeichnis:
1. Dr. Obst, Carsten, per E-Mail
2. Homepage der Emil Köster GmbH Grundstücksverwaltung, zuletzt aufgerufen am 20.04.2020
3. Barlach, Karl: Stadtchronik Neumünster; o.O., o.J.
4. Heggen, Dr. Alfred: Projekt Zeitgeschichte Neumünster
5. Kulturraum Neumünster (Färber, Uwe), aufgerufen am am 13.01.2019, inzwischen nicht mehr verfügbar
6. Wember, Heiner: Umerziehung im Lager.
7. Schumann, Ingo: Internierungslager Gadeland – Recherche zur Kösterschen Fabrik in Neumünster in den Jahren vor und nach 1945, ausgestrahlt im Freien Radio Neumünster

 

 

 

Internierungslager Gadeland – Recherche zur Kösterschen Fabrik in Neumünster in den Jahren vor und nach 1945