Nordfriedhof

Allein auf dem Nordfriedhof befinden sich ca. 330 Gräber von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern, die umliegenden kleinere Friedhöfe und Anlagen nicht mitgerechnet.

Tatsächlich hatte die Industriestadt Neumünster, bedingt durch die Kriegsfolgen und -wirtschaft, einen immensen Bedarf an Arbeitskräften. Zur Deckung dessen wurden im gesamten "Großdeutschen Reich" Fremdarbeiter angeworben bzw. verschleppt, um die heimische Wirtschaft aufrechtzuerhalten.

 

Abgesehen vom großen Durchgangslager für Schleswig-Holstein befanden sich 1944 34 Lager innerhalb der Stadt, und fast jede umliegende Bauernstelle beschäftigte "ihren Ostarbeiter". In diesem Jahr lebten 3904 Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, gegenüber ca. 50.000 statistischen Einwohnerinnen und Einwohnern (viele von ihnen waren an den Frontabschnitten), in Neumünster. Kasernierung, Kontaktverbote, Propaganda und Sondergesetze verhinderten jedoch "allzu viele" Kontakte zwischen Deutschen und "Ostarbeitern".

Entsprechend der nationalsozialistischen Rassenideologie waren dagegen Kontakte zu "Westarbeitern" (Belgier, Franzosen etc.), die sowohl bessere Lebensbedingungen als auch Bezahlung erhielten, gestattet.

Allein der Rüstungsbetrieb Land- und Seeleichtbau kasernierte und beschäftigte fast 1000 Russen und Polen in seinen Anlagen.

Vielfach bestanden die Unterbringungsmöglichkeiten aus einfachen Lagerhallen und Fabrikräumen, um anfallende Kosten zu umgehen, da die Stadtverwaltung für einen städtischen Lagerplatz dem Betrieb 1,50 RM in Rechnung stellte.

Ähnlich dem Judenstern bestand auch für diese Personengruppe eine Kennzeichnungspflicht. Für Polen ein "P" und Sowjets ein "Sonnenblumenkranz" mit entsprechenden Landesfarben; dieses Abzeichen war auf der Brust zu tragen. Aufgrund der großen Zahl und Unübersehbarkeit dieser Menschen blieben Kontakte zu den Neumünsteranern nicht aus, diese waren sicherlich unterschiedlichster Natur.

Besonders ältere Landwirte berichteten in den 1990ern davon, dass "ihre Arbeiter" es doch gut hatten, und auch im Stadtarchiv finden sich Fälle, bei denen Bauern ermahnt wurden, ihre "Ostarbeiter" strenger anzupacken oder diese nicht mit am Tisch essen zu lassen. Aber auch andere Fälle sind überliefert, welche von zahlreichen Denunziationen bei der Gestapo zeugen. So z.B., dass Brot an "Ostarbeiter" verkauft werde, Russen marxistische Lieder singen würden, arbeitsunwillig seien und vieles mehr.

Diese Denunziationen bzw. "Aufsässigkeit der Ostarbeiter" führten in vielen Fällen zur "Inschutzhaftnahme" im Polizeigefängnis am Haart oder zu weiteren Zwangsmaßnahmen. Im schlimmsten Fall wie bei der Polin Janiene Zawip erfolgte die "Überweisung in ein staatliches Konzentrationslager", wie es im NS-Bürokratendeutsch hieß.

Während ein Teil der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter Opfer der schlechten Arbeits- und Lebensbedingungen wurde, kamen ca. 100 von ihnen bei allierten Bombenangriffen, denen sie in ihren Baracken schutzlos ausgeliefert waren, ums Leben.

Wer sich die Mühe macht, in dem Buch "Verschleppt zur Sklavenarbeit - Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter in Schleswig-Holstein" von G. Hoch und R. Schwarz nachzuschlagen, wird viele alteingesessene Neumünsteraner Firmen und Betriebe finden, die (wirtschaftlich) von dieser Form des nationalsozialistischen Sklavenhandels profitierten und die, wie viele andere auch, keinerlei Entschädigung an ehemalige (Ost-)Arbeiterinnen und Arbeiter leisteten.