Otto Schmidt

Am 8. April 1954 wird die Strafsache gegen den Bauarbeiter Otto Schmidt in Neumünster (Augustenburger Straße 13c), geboren am 31. Juli 1905 in Neumünster, verheiratet, vorbestraft, wegen gefährlicher Körperverletzung am Landgericht Paderborn verhandelt. Es geht im Wesentlichen um eine Strafverschärfung für den Angeklagten, der bereits 1952 wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit  zu 4 Jahren Gefängnis verurteilt wurde, dann aber in Revision ging.



Otto Schmidt war "Kapo" des Arbeitskommandos 'Haus Marx' im Konzentrationslager Niederhagen/Wewelsburg, das 1941 als Nebenlager des KZ Sachsenhausen entstand. Zuvor war es zwei Jahre Außenkommando dieses KZ. Zu den rund 3.900 Häftlingen zählten Zeugen Jehovas (sogenannte Bibelforscher), politische Häftlinge, Roma, Homosexuelle, Juden, Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter aus Polen, der Sowjetunion, der Tschechoslowakei, Frankreich, den Niederlanden und Belgien. Die ausländischen Zivilarbeiter stellten die größte Opfergruppe.

 


Otto Schmidt war im Juli 1939 durch die Gestapo als "Asozialer" in das KZ-Lager Sachsenhausen eingeliefert worden. Nach zwei Jahren in einem Bewährungsbataillon (wann genau, ist unklar) war er dienstältester "Kapo" und bekam die Oberaufsicht über das ganze Arbeitskommando. Ihm unterstanden dabei unmittelbar die Häftlinge, die die Ausschachtungsarbeiten auszuführen hatten, während der Arbeitstrupp, der die Zimmerarbeiten vornehmen musste, von einem anderen Vorarbeiter geführt wurde.

 


Offensichtlich, so führt das Gericht aus, hatte Schmidt eine mangelhafte Erziehung in seiner Jugend genossen und keine Arbeit in seinem erlernten Beruf als Schlachter gefunden. Nachdem er seine Gesellenprüfung abgelegt hatte, arbeitete Schmidt auf dem Bau. Mit 16 Jahren wurde er zum ersten Mal straffällig und musste wegen Diebstahls für 3 Monate ins Gefängnis. 15 Mal wurde er nach dieser ersten Tat bestraft, u.a. wegen Diebstahls, Betrugs und Körperverletzung. So sammelte Schmidt insgesamt 19 Vorstrafen.

 


Michael Kulenko aus Kiew war erst 19 Jahre, als Otto Schmidt ihn zunächst durch Faustschläge und Tritte mit seinen Stiefeln halb tot prügelte, ihm dann eine Essensration entzog und anschließend durch weiteres Prügeln mit einer Holzlatte in so eine Verzweiflung trieb, dass er an die Außengrenze des Lagers lief, wo er von den Wachposten erschossen wurde. Das Leben des jungen Russen zählte für Schmidt gar nichts. Nachdem er sein Arbeitskommando antreten ließ, zeigte er auf den Erschossenen und drohte in die Runde, dass es jedem so gehen würde wie dem da, wenn er nicht arbeiten will.

 

Schmidt war im Lager für seine Brutalität berüchtigt. Der Zeuge St. schilderte im Prozess den Angeklagten als jähzornigen Menschen, der aus der Augenblickssituation ohne Bedenken und Zögern zu handeln pflegte. So schlug er einen gehbehinderten Mann 2 Tage mit einer Baulatte auf das Gesäß und versetzte ihm die Lagerstrafe von 25 Stockhieben mit besonderer Härte. Einen anderen Häftling brachte er durch Bewerfen mit faustgroßen Steinen so in Verzweiflung, dass er sich eine Axt ins Bein hieb, um ins Krankenlager zu kommen. Den Häftling Erwin Opitz, der ihm Widerworte gab, schlug er so stark gegen das Kinn, dass dieser umfiel und mit dem Kopf auf Bruchsteine aufschlug. Wenige Stunden später starb Opitz im Krankenrevier. Das Gericht stellte 1952 fest, dass Schmidt in mindestens 100 Fällen im Tatzeitraum Februar 1942 bis 1943 Häftlinge misshandelte, entweder durch Werkzeuge, Fußtritte oder Faustschläge.

 


Das Schwurgericht in Paderborn erkannte letztendlich in der Sitzung vom 8. April 1954 für Recht:

 

Der Angeklagte wird wegen gefährlicher Körperverletzung in mindestens 100 Fällen, davon in einem Falle in Tateinheit mit fahrlässiger Tötung, dazu wegen Körperverletzung mit Todeserfolg zu einer Gesamtgefängnisstrafe von fünf Jahren und acht Monaten verurteilt. Die Kosten des Verfahrens mit Einschluss der Kosten der Revision fallen, soweit über dieselben nicht bereits rechtskräftig erkannt worden ist, dem Angeklagten zur Last.

 


17 Jahre später, am 6.2.1971 berichtet das Westfälische Volksblatt über den zweiten Wewelsburg-Prozess. Vier ehemalige SS-Angehörige und „Kapos“ aus dem Konzentrationslager Wewelsburg – Ludwig Rehn, Josef Friedsam, Ludwig Paetzelt und Max Schüller – mussten sich in einem drei Monate dauernden Prozess vor dem Paderborner Schwurgericht verantworten. Sie waren angeklagt, am Tode von zahlreichen KZ-Insassen beteiligt gewesen zu sein. Die Staatsanwaltschaft forderte lebenslange Freiheitsstrafen gegen zwei Angeklagte. Das Gericht unter Vorsitz von Landgerichtsdirektor Safarovic sprach die Angeklagten frei, weil sie "die moralische Schuld nicht ahnden" konnten. Der vorsitzende Richter sprach davon, dass Wewelsburg "ein reines Arbeitslager gewesen" war, in dem "viele an Unterernährung gestorben seien", so als wäre das eine natürliche Todesart in einem KZ.

 

Quellen:

- Gerichtsentscheidungen
LG Paderborn vom 08.04.1954, 7 Ks 2/51
LG Paderborn vom 27.11.1952, 7 Ks 2/51
BGH vom 03.12.1953, 4 StR 378/53

- ANDREAS NEUWÖHNER: "Diese Kinder hielten die Strapazen nicht lange aus": https://www.lwl.org/westfaelische-geschichte/txt/wz-9124.pdf; zuletzt abgerufen am 31.07.2021

- Sarah Kleinmann: Nationalsozialistische Täterinnen und Täter in Ausstellungen: Eine Analyse ...

- Auszug aus: Westfälisches Volksblatt vom 6. Februar 1971