Richard Steffen

Richard Steffen, ursprünglich in Lügumkloster (Dänemark) geboren, war in Neumünster Propst von 1933 bis 1966. Kritisches zu Steffen findet sich in der "Causa Biberstein: Pastoren unterm Hakenkreuz". Sein Sohn Uwe Steffen, der ebenfalls als Propst wirkte, sah in einem Leserbrief an "Die Zeit" darin "üble Nachrede".

 


Spurensuche Neumünster versucht, mithilfe der Publikation des Kirchenhistorikers Stephan Linck und eigener Recherchen Licht ins Dunkel zu bringen.

 


Der als Sohn des späteren Propstes von Tondern, Wilhelm Steffen, geborene Richard Steffen war 1933 Mitglied der NSDAP und der Deutschen Christen geworden.

 


Zitiert nach Stephan Linck (mit freundlicher Genehmigung):


„Die vorbehaltlose Unterstützung der Nationalsozialisten war Voraussetzung, dass ihm Ende 1933 das Neumünsteraner Propstamt übergeben wurde. Als er 1937 aus der NSDAP ausgeschlossen wurde – er hatte den Kreisleiter wegen dessen öffentlicher Ablehnung des Alten Testaments kritisiert –, schrieb er in einer Bittschrift an Gauleiter Hinrich Lohse:
Ich bin zwar erst 1933 Parteigenosse geworden. Aber ich habe versucht, mich dann als solcher zu betätigen. Anfang 1934 trat ich hier in den SS Motorsturm ein und habe dort in freudiger Dienstbereitschaft für meinen Führer und sein Werk gestanden. Als wir bei der traurigen Röhm-Affäre in Alarm lagen, da war ich selbstverständlich zum Einsatz bereit, wohin immer wir gerufen worden wären, um das wahr zu machen, was wir so oft auf unsern Märschen sangen, ‚Für Adolf Hitler kämpfen wir, das schwören wir aufs Neu’.“

 


1958 wurde der Massenmörder und Chef des Einsatzkommandos 6 der Einsatzgruppe C in Rostow, Russland, Ernst Biberstein, der für die Ermordung von 2000 bis 3000 überwiegend jüdischen Menschen eigentlich zum Tode verurteilt war, nach kirchlicher Fürsprache durch Propst Steffen aus der Haft entlassen. Biberstein nahm bereits 1955 wieder Kontakt zu seiner alten Landeskirche auf und bat offen, ihn bei seinen Bemühungen um vorzeitige Haftentlassung zu unterstützen. Biberstein war für 6 Monate der Amtsvorgänger von Steffen.

 


Zitiert nach Linck (mit freundlicher Genehmigung):


„Im Oktober 1956 schließlich fuhr Propst Richard Steffen nach Landsberg, um Biberstein zu besuchen und sich ein Bild von ihm zu machen. Der Bericht, den Steffen unmittelbar nach seiner Reise nach Landsberg abfasste, ist ein beeindruckendes Dokument des Zeitgeistes des Jahres 1956. Steffen hatte die Reise offenbar unvorbereitet angetreten. Im Gespräch mit Biberstein ließ er sich dessen Deutung seiner Karriere erzählen, ohne imstande zu sein, aufgrund anderer Informationen nachzufragen. Steffen übernahm Bibersteins Darstellung, ohne sie zu hinterfragen. Die Wiedergabe Steffens lässt eine ähnliche Erzählstruktur vermuten, wie sie Biberstein im Einsatzgruppenprozess angewandt hatte. Er war dort geistig überfordert, zu realisieren, dass er – statt seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen – sich um Kopf und Kragen redete. Hier zeigte sich ein Massenmörder, dessen Lügen frei von jeglicher Reflexion waren. Eine solch wirklichkeitsferne Selbstdeutung konnte nur Erfolg haben bei Menschen, die genau diese Sicht hören und glauben wollten.“

 


Zitat Steffen:


„Nach meiner Überzeugung ist B. kein Verbrecher. Was übrig bleibt an Schuld vor Menschen und Gott, ist menschlich gestraft genug und geistlich in Gottes Vergebung gestellt. Sollten wir nicht auch vergeben können?“

 


Nach seiner Freilassung arbeitete Biberstein vorübergehend in der Kirchenverwaltung in Neumünster, bis er dort entlassen wurde. Er konnte dann unbehelligt bis 1986 in Neumünster leben, wo er im "Haus Berlin" starb.

 


Doch das war nicht die einzige "Freisprechung" von Propst Steffen: Wegen der Ermordung der beiden KPD-Funktionäre Christian Heuck und Rudolf Timm wurde der Chef der Polizei Neumünster Hinrich Möller in einer zweitägigen Verhandlung am 4. Dezember 1947 vom Landgericht Kiel zum Tode verurteilt. Propst Steffen und auch der Kieler Bischof Wilhelm Halfmann setzten sich für Möller ein, dass unter anderem die Strafe nicht vollstreckt werden sollte. 1958 wurde Möller entlassen, obwohl er sich vor Gericht geweigert hatte, seine Mittäter preiszugeben und die Tat richtig aufklären zu helfen. Er starb 1974 in Neumünster, ohne für seine Taten zur Rechenschaft gezogen worden zu sein. Steffen hatte seine Schuld laut Aussage von Propst Johannes Jürgensen 1963 eingestanden.

 


Noch heute hängt im Propst-Meifort-Haus Neumünster über der Tür neben dem Empfangstresen ein Foto von Richard Steffen, so wie von allen Pröpsten des ehemaligen Kirchenkreises Neumünster. Vielleicht sollte die Landeskirche einen ergänzenden Text daruntersetzen, wenn das Foto des SS-Manns schon nicht abgehängt werden kann.

 


Quellen:
- Kirchen im Norden deckten Nazi-Karrieren. Patenschaften für Kriegsverbrecher – Kirchenhistoriker deckt auf. Kirche Hamburg. Serviceportal der Evangelisch-Lutherischen Kirche — Nachrichten 16. Oktober 2012, abgerufen 20. November 2019
- "Neue Anfänge? Der Umgang der evangelischen Kirche mit der NS-Vergangenheit und ihr Verhältnis zum Judentum. Die Landeskirchen in Nordelbien Band 1: 1945-1965" von Stephan Linck (Autor)